Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


begriffe:generation

Dies ist eine alte Version des Dokuments!


Generation

Von Sigrid Weigel


lat. generatio engl. generation
franz. génération Gegenbegriffe
Wortfeld Altersgruppen, Geschlechterfolge, Generationenfolge

Disziplinäre Begriffe


1. Die vergessene Geschichte des Generationskonzepts

Die Generation hat als Begriff sichtlich Konjunktur und ist als Thema populärer Publikationen bestsellerverdächtig. In den letzten Jahren sind Feuilleton und Zeitgeistpublikationen zu einem reichen Betätigungsfeld für die Porträts und Geschichten immer neuer Generationen und für den Einfallsreichtum in der Erfindung neuer Generationsnamen geworden. Für längere Zeit hatte es so ausgesehen, als sei der Begriff eher in die Bereiche von Technik und Werbung hinübergewandert, wo er den schnellen Wechsel von Typen, Leistungsfunktionen und Design der Geräte, Maschinen, Fahrzeuge oder Computer anzeigt, für neue Modelle wirbt und eine Art Meistertrope des technischen Fortschritts darstellt. In jüngster Zeit aber ist der Begriff in den Diskurs über Haltungen, Stile und Mentalitäten zurückgekehrt, in dem nahezu wöchentlich neue Generationen auftreten. Und auch in der Wissenschaft ist ein Trend zur Generationenforschung zu verzeichnen, mit Forschungsverbünden und Graduiertenkollegs, die mit dem Konzept der Generation arbeiten. Allerdings ist in all diesen Vorhaben und Texten selten das Konzept der Generation selbst Gegenstand von Untersuchungen, häufiger profiliert der Begriff das Thema (etwa nach dem Muster »Porträt einer Generation«, »Eine Generation tritt ab«) oder er organisiert die Untersuchungsanordnung und Darstellungsweise, wenn z.B. Methodenwechsel als Generationswechsel beschrieben oder ganze Fachgeschichten entlang der Abfolge von Wissenschaftlergenerationen erzählt werden. Nach Versuchen mit der Sozial-, Institutionen- und Diskursgeschichte scheint die Generationengeschichte gegenwärtig zu einem der verbreitetsten Narrative auch in der Wissenschaftsgeschichte zu avancieren. Das ist um so bemerkenswerter, als in der Moderne die Generation als Schema für literarische Formen, die traditionelle Gattungen (wie Familienroman, Autobiographie, Bildungs- und Entwicklungsroman) prägt, ihre Geltung eingebüßt hatte und genealogische Modelle als kulturelles Deutungsmuster und als Darstellungsform für Metaerzählungen zur (Kultur-)Geschichte - mit der These vom Ende der grands récits - ad acta gelegt waren. Während über längere Zeit das Fragmentarische und die Brüche favorisiert wurden, kommt dem Konzept der Generation heute die Rolle zu, dort wieder Zusammenhang zu stiften, wo mit dem Ende der großen Erzählungen und Epochendarstellungen ein Verlust von Überblick, Einheit und sinnvoller Abfolge verbunden war.

Von und über Generationen wird aber nicht nur erzählt, Generationen werden auch wieder gezählt. Dieses Narrativ hat sich nicht nur in der Geschichtsschreibung nach 1945, in der Nachgeschichte von Zweitem Weltkrieg und Shoah durchgesetzt, sondern spielt auch eine wichtige Rolle im Zusammenhang von Migrationen, in den Cultural Studies und den Postcolonial Studies. Das Zählen von Generationen ist überall dort üblich, wo die biographische oder kollektive Geschichte sich von einem Einschnitt herschreibt, von einem Ereignis wie Krieg, Emigration o.a., das damit in die Position eines Ursprungsereignisses rückt. In diesem Zusammenhang dient das Generationenmodell der Periodisierung und funktioniert insofern im kollektiven Gedächtnis als eine mythisch-narrative Form der Zeitrechnung jenseits von Kalender und Historiographie.

2. Das kurze Gedächtnis des Generationsdiskurses - Zur doppelten Semantik des Begriffs

Während mit der Benennung von altersspezifischen Gruppen als »Generation Golf« oder »Generation arbeitslos« soziale Einheiten gebildet werden, denen oft eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt, aktivieren Erzählungen entlang von Generationen die genealogische Dimension des Begriffs: die Familie, Nation oder Gattung wird aus der Abfolge von Generationen generiert. Damit ist genau jene doppelte Semantik im Spiel, die dem Begriff der Generation immer schon anhaftet. Während der engere soziologische Fachterminus Altersgruppen und Lebensabschnitte bezeichnet, um damit entweder gruppenspezifische Merkmale oder aber das Verhältnis zwischen den Gruppen zu untersuchen, ist die Geschichte des Begriffs sehr viel vielfältiger und schillernder. Entlang der wechselnden Bedeutungen von ›Generation‹ lassen sich signifikante Bewegungen in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte beschreiben.

Im älteren, heute weitgehend vergessenen Wortgebrauch bezeichnet Generation auch die Schöpfung, Entstehung oder (Er-)Zeugung - lat. generatio, gr. genesis - eine Bedeutung, die in den biowissenschaftlichen Begriff von Zeugung oder Entstehung eines Organismus eingegangen ist. Etymologisch ist Generation aus dem Wortfeld von gr. genos (Gattung oder Geschlecht) abgeleitet, das auch als Menschenart und -alter übersetzt werden kann. Begründet in anthropologischen Phänomenen wie Alterung, Sterblichkeit und sexueller Reproduktion, ist die Generation eine Größe, die den Fortgang der Geschichte, in der Figur der Entstehung von neuen Geschlechtern, garantiert und derart die Genealogie als Abkunft und Abfolge organisiert. Insofern verbirgt sich im Begriff der Generation immer schon ein komplexes Zusammenspiel von Natur und Kultur, markiert die Generation doch die Schwelle zwischen Entstehung und Fortgang, zwischen Abstammung und Erbschaft, zwischen Prokreation und Tradition, zwischen Herkunft und Gedächtnis. Deshalb ist das Generationskonzept für die Kulturwissenschaft von herausragendem Interesse; an der spezifischen Umgangsweise mit ihm zeigt sich, inwieweit es kulturwissenschaftlichen Analysen gelingt, anthropologische Betrachtungen, die von der ›Natur des Menschen‹ ausgehen, zu überschreiten.

In der gegenwärtigen Verwendung des Begriffs dominiert allerdings eine Bedeutung, die sich weniger auf die genealogische, sondern eher auf die synchrone Bedeutungsdimension stützt und vornehmlich Profil und Einheit altersspezifischer Gruppen meint, eine Generationsgemeinschaft oder Kohorte. Deren ähnliche Einstellungen, Lebensstile und Verhaltensweisen werden auf lebensgeschichtlich gemeinsame oder gleichzeitige Erfahrungen zurückgeführt und zugleich über die Abgrenzung oder Differenz zu anderen Generationen definiert. Dieses Verständnis referiert zumeist auf Karl Mannheim oder allenfalls auf dessen Stichwortgeber Wilhelm Dilthey, der die Generation definiert hat als »engeren Kreis von Individuen, welche durch Abhängigkeit von denselben großen Tatsachen und Veränderungen, wie sie in dem Zeitalter ihrer Empfänglichkeit auftraten, trotz der Verschiedenheit hinzutretender anderer Faktoren zu einem homogenen Ganzen verbunden sind« 1). Häufiger aber als Dilthey wird der Soziologe Karl Mannheim als Theoretiker des Generationskonzepts zitiert, und zwar mit dem Aufsatz »Zum Problem der Generationen« aus dem Jahre 1928. Damit orientiert sich der populäre Generationsdiskurs - meist eher implizit - an soziologischen Methoden. Wenn die heutige Soziologie Generationsforschung sui generis betreibt, dann geht es um die überwiegend empirische Ermittlung lebensgeschichtlicher Erfahrungen, beispielsweise um das politische, sexuelle, Freizeit- oder Konsumverhalten bestimmter Jahrgänge, um die Beziehung und das Zusammenleben verschiedener Altersgruppen in Familie und Gesellschaft, d.h. um die Generation als Agentur des sozialen und kulturellen Wandels: der soziologische Generationsbegriff als Maßeinheit zur Identifizierung und Unterscheidung von Einstellungen. Eine ganz andere Funktion erhält der Begriff, wenn er in (kultur- oder auch wissenschafts-) historischen Darstellungen verwendet wird und deren Gliederung organisiert. Ist die soziologische Konstruktion einer jahrgangsspezifischen Gruppierung methodisch einer Stillstellung der Diachronie im Interesse von Synchronie oder Gleichzeitigkeit geschuldet, so kommt es beim Einsatz des Generationsbegriffs für die Deutung historischer Vorgänge notwendig zu problematischen Effekten: Als Kette oder Abfolge von Einheiten beschrieben, wird die generationell strukturierte Geschichte an eine anthropologische Ordnung zurückgekoppelt und damit gleichsam naturalisiert. Dieses ist die Auswirkung eines internen methodischen Widerspruchs, der dadurch entsteht, dass die Semantik von ›Generation‹ zunächst von ihrem genealogischen Bezug abgetrennt werden muss, um dann, transformiert in eine Einheit für Epochenbildung oder historische Periodisierung, im Sinne von Phasen oder Stadien einer Entwicklung für eine diachrone Perspektive genutzt werden zu können. Erst durch diesen Widerspruch entstehen jene Fallen, in die, so Pierre Nora, jeder Versuch einer präzisen Definition der Generation tappt. 2)

Der Begriff lässt sich tatsächlich nicht definieren, aufgrund seiner doppelten Bedeutungsperspektive von Diachronie und Synchronie schon gar nicht eindeutig. Insofern ist die Einführung einer historischen Perspektive hilfreich, um die Problematik und methodische Widersprüchlichkeit in der gegenwärtigen Verwendung des Konzepts auf die Genese seiner unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen hin zu befragen. Im eklatanten Kontrast zur gegenwärtigen Konjunktur des Generationskonzepts ist allerdings seine Begriffs-, Diskurs- oder Wissenschaftsgeschichte weitgehend vergessen. Ebenso hat die Berücksichtigung des Begriffs im Register lexikalischen Wissens erst rudimentäre Formen angenommen. Deshalb sollen hier einige paradigmatische Stationen aus der Geschichte des Konzepts rekonstruiert werden, die die Bedeutungsvielfalt und Problematik des Generationsbegriffs verdeutlichen können. Diese Darstellung richtet sich gegen das kurze Gedächtnis des aktuellen Generationsdiskurses. In der Dominanz des soziologischen Generationsbegriffs im 20. Jahrhundert und der Gegenwart ist nämlich nicht nur die Reflexion von Genealogie in den Hintergrund getreten, sondern auch die longue durée des Konzepts weitgehend vergessen: Sowohl der Zusammenhang zur Gattungsgeschichte als auch jene Aufspaltung in ein naturwissenschaftliches und ein kulturelles Konzept, die der wissenschaftlichen Karriere des Begriffs seit dem 18. Jahrhundert einhergegangen ist. Dem gegenwärtig gebräuchlichen Begriff fehlt also das Gedächtnis im doppelten Sinne: (1) als Facette des Konzepts, die die Dimension des Genealogischen, die Generativität, Erbschaft, Tradition bzw. das Gedächtnis betrifft, und (2) als Gedächtnis einer Begriffsgeschichte, die sowohl vor die Moderne zurück- als auch über die soziologisch-kulturelle Bedeutung hinausgeht.

3. Das heroische Generationsmodell der Moderne - Familienroman der Grande Nation (Nora)

Die Generation als Kategorie zur Periodisierung der Zeitgeschichte sei heute nur noch eine symbolische Zeiteinheit; dem Konzept fehle die anthropologische Fülle von »Zeitalter«, die Religiosität einer »Ära«, die historische Dignität eines »Jahrhunderts« sowie Farbreichtum und Dimension von »Epoche« oder »Periode«, so Nora in seinem Beitrag über die Generation in dem von ihm initiierten großen Projekt zu den Lieux de Mémoire Frankreichs 3), Er verbindet diese Feststellung mit der Beobachtung, dass die Generation heute an die Stelle früherer, verlorener Identitäts- und Solidaritätskategorien (wie Familie, Klasse, Berufslaufbahn, Nation) getreten sei und vor allem der Repräsentation und Bestätigung horizontaler Identität diene, die alle Formen vertikaler Solidarität überlagere. Die Unterscheidung von horizontal und vertikal zeigt an, dass auch Noras Begriff auf ein soziologisches Modell bzw. das Bild gesellschaftlicher Schichtung Bezug nimmt, obwohl sie tatsächlich Differenzen in der Dimension der Zeit beschreibt, so dass »vertikal« im Grunde auf transgenerationelle oder genealogische Beziehungen verweist und »horizontal« auf die Gleichzeitigkeit einer Gruppe.

Die Logik der von Nora erzählten Verfallsgeschichte einer Kategorie gründet dabei in der Szene eines gloriosen Ursprungs: »die Generation ist die Tochter der Demokratie und der Beschleunigung der Geschichte« 4). Es geht in seinem Beitrag also um die Geschichte der Generationen als Epochenkonzept der Moderne und dessen Geburt aus den Ideen der Französischen Revolution, insbesondere denen von Gleichheit, Fortschritt und Jugend. Als Gründungstexte für diesen emphatischen Generationsbegriff nennt Nora Proklamationen aus dem Umfeld der Französischen Revolution, die sich gegen das Erbschaftsprinzip des Ancien Régime richteten und diesem ein Generationsrecht entgegenstellten, das gleichsam den Status eines eingeborenen Menschenrechts erhält: »Aus dem Anspruch jeder Generation auf gleiche Rechte folgt, dass niemand das geringste Recht beanspruchen kann, eine erbliche Regierung zu etablieren« (Thomas Paine). Und: »Keine Generation hat das Recht, eine zukünftige Generation den eigenen Gesetzen zu unterstellen«, so Artikel 30 der von Condorcet formulierten »Deklaration der Menschenrechte« von 1793.5)

In diesem historischen Kontext, in dem Generation mit Jugend und mit dem Entwurf einer Zukunft assoziiert wird, galt die Formel Generation = Regeneration. Im Fahrwasser einer solchen Vorstellung erzählt Nora eine Geschichte Frankreichs im 19. und 20. Jahrhundert, die sich, ausgehend von einer Modellgeneration (Alfred de Mussets Rede von den »Kindern des Jahrhunderts«), als Abfolge von Intellektuellen-Gruppen darstellt. Während sich jede dieser Generationen als neue, junge Generation oder als Avantgarde verstand, entsteht daraus eine Geschichte, in der von den Romantikern über die Surrealisten bis Foucault eine Generation die andere ablöst: ein Kontinuum von Generationen. Zwar mag sich dieses Narrativ für Frankreich in besonderer Weise eignen, weil dort eine engere Liaison zwischen Kultur und Macht existiert, politische und intellektuelle Bewegungen also mehr korrespondieren als in anderen europäischen Ländern. Jedoch wird diese historische Konstruktion einer Generationengeschichte Frankreichs in Noras Darstellung in eine Nationalisierung des Konzepts der Generation selbst überführt.

Frankreich sei das gelobte Land des Generationsbegriffs, erklärbar durch eine gespaltene nationale Identität, von der eine besondere Affinität zur binären Spannung in der Symbolik einer alt-jung- oder Vater-Sohn-Opposition ausginge. Diese Affinität, die zunächst ein symbolisches Deutungsmuster nationaler Befindlichkeit betrifft, wird bei Nora aber zum Bild einer als einzigartig bewerteten Geschichte Frankreichs gesteigert, indem er die Tragik dieser nationalen Geschichte aus der Position Frankreichs als eines Kernlandes europäischer Identität ableitet, dessen Status im 20. Jahrhundert zu dem einer nur mehr mittleren Macht abgesunken sei. Die Verfallsgeschichte des Generationskonzepts ist bei Nora also eigentlich die Signatur einer nationalen Verfallsgeschichte bzw. der Kränkungsgeschichte der Grande Nation. Diese Erzählung mündet bei Nora in der These, dass der Generationsbegriff ein genuin französisches Konzept sei. Sein Text ist also ein signifikantes Beispiel dafür, dass Generationsdiskurse nicht selten einen nationalen Index mit sich führen. Zugleich wird deutlich, dass auch Nora mit Hilfe des Generationskonzepts einen Familienroman schreibt, den Familienroman einer tragischen Nation.

In methodischer Hinsicht steht die Generation bei Nora am Schnittpunkt zweier Projekte, seines theoretischen Projekts, dem Entwurf der Lieux de memoire (Gedächtnisorte), und seines nationalen Projekts, der Geschichte Frankreichs. Das Deutungsmuster, das dem ganzen Vorhaben zugrunde liegt, stellt sich als eine weitere Variante von Noras Verlusterzählungen dar. Es geht aus von der Vorstellung eines Verlusts der traditionellen Kultur, in welcher Tradition als gleichsam natürliches Gedächtnis, als »milieux de memoire«, funktionierte. Dieses ursprüngliche Gedächtnis sei mit der Entstehung von Geschichte und Historiographie in Moderne und Industriegesellschaft verschwunden und müsse nunmehr durch geschaffene Gedächtnisorte ersetzt werden 6). Auf der Folie einer solchen Verfallsgeschichte ist der spezifische, als Identitätsmodell funktionierende Generationsbegriff ein Gedächtnisort par excellence: Erstens tritt er an die Stelle verschwundener gesellschaftlicher Kategorien, besitzt also das Hauptmerkmal der lieux de mémoire; zweitens transformiert er das Bewusstsein und Selbstbild einer Gruppe in eine Epochengeschichte, regelt also die Übersetzung von kollektivem Gedächtnis in Historiographie. Anstatt dass die Genese dieses spezifischen und engen Generationsbegriffs aber analysiert würde, wird dieser in Noras Beitrag - trotz einer gelegentlichen ironischen Rhetorik - wiederholt und affirmiert. Die Negation der genealogischen Dimension im Begriff der Generation wird hier nämlich in einer historischen Urszene fundiert, in der diese Operation eine revolutionäre Konnotation hatte, weil sie sich mit einer Verwerfung der Erbmonarchie und des ständischen Erbrechts im Ancien Régime verband. Wenn Noras These von der ›Geburt‹ der Generation aus der Gleichheit sich im Sinne einer Ursprungserzählung auf die Französische Revolution stützt und zugleich von dort aus eine Darstellung der Geschichte Frankreichs als Abfolge von Generationen französischer Intellektueller ausgehen lässt, dann wird die Geste gegen das Erbe wiederholt und in eine epistemologische Dimension transformiert und im Effekt die Geschichte des Generationsbegriffs um die Dimension des Erbes bzw. die genealogischen Dimension beschnitten. Diese kehrt dann in der Metaphorik wieder, in der Rede von der Generation als Tochter der Demokratie, in der die Generation als lieux de mémoire für den Familienroman der Grande Nation agiert.

4. Die Generationseinheit - Soziologie als Geisteswissenschaft (Mannheim)

Deutliche Merkmale einer nationalen Betrachtungsweise teilt Pierre Nora mit dem als Klassiker gehandelten Beitrag von Karl Mannheim; in seinem Falle ist es die Perspektive einer deutschen Befangenheit. Als Ausgangslage zum »Problem der Generation« entwirft Karl Mannheim in seinem Beitrag »Das Problem der Generation« (1928) nämlich eine Konstellation entgegengesetzter Fragestellungen, die er als nationalspezifische Opposition bewertet: Dort ein positivistischer, mit französischen Autoren wie Auguste Comte und François Mentré belegter Ansatz, der sich auf die Generationsdauer und die Rhythmik von Abfolge und Wechsel konzentriert und auf diese Weise »aus der Sphäre der Biologie heraus unmittelbar den formalen Wechsel der geistigen und sozialen Strömungen zu verstehen« sucht 7); hier ein aus dem »romantisch-historisch fundierten deutschen Denken« entwickelter geisteswissenschaftlicher Ansatz, der sich auf Dilthey beruft und im Konzept »einer nicht messbaren, rein qualitativ erfassbaren inneren Zeit« mündet. Dort Fortschrittskonzeption, Kontinuität, Abfolge und ein »veräußerlichter, mechanisierter Zeitbegriff«, hier die Generation als Phänomen von Gleichzeitigkeit, daraus abgeleiteter »Gleichartigkeit der vorhandenen Einwirkungen« und einer »bloß durch das Verstehen erfassbaren Innerzeitlichkeit«. Dort Zählbarkeit, hier Nacherlebbarkeit, dort Quantität, hier Qualität 8). Aufgrund solcher Kategorien wie »Innerzeitlichkeit« lässt sich Mannheims Modell offenbar ohne Schwierigkeiten in die ontische Sprache von Martin Heideggers Sein und Zeit übersetzen. So wird die Gleichzeitigkeit von Mannheim gerade nicht als soziales Faktum einer Jahrgangsgruppe näher spezifiziert, sondern als »innerlich nacherlebbare Zeit« bewertet, sodass die Idee einer »Generationsgleichzeitigkeit« mit Heideggers Begriffen von Geschick, Miteinander-Sein, Zusammenvorkommen kompatibel wird: »Das schicksalshafte Geschick des Daseins in und mit seiner ›Generation‹ macht das volle eigentliche Geschehen des Daseins aus.« 9). Die Gleichsetzung von Generationsgleichzeitigkeit und Geschick kann als Symptom eines geisteswissenschaftlichen Begriffs des Sozialen gelesen werden, dem es nicht gelingt, sich aus der zeitgenössischen, national grundierten Rhetorik zu lösen. In der Folge seiner Innerlichkeitsrhetorik bleibt auch die Kategorie des Sozialen in Mannheims Generationsbegriff letztlich tautologisch.

Aus seiner Kritik am positivistischen Ansatz, seiner Zurückweisung der »Intervalltheorie« (Rhythmik der Generationenabfolge) inklusive der Vorstellung einer unmittelbaren Auswirkung der »naturalen Sphäre« im Geistigen leitet Mannheim die Notwendigkeit einer Vermittlung durch das »soziale Geschehen« ab und setzt diese in eine Konstruktion um, in der dem sozialen Geschehen buchstäblich die Mittelstellung zwischen der naturalen und der geistigen Sphäre zukommt: Als Ebene der »gesellschaftlich formierenden Kräfte«, die zwischen dem »Vitalen« (oder Biologischen) und dem »Geistigen« vermittelt. Damit führt er das Soziale als Medium der Verhandlungen zwischen Natur und Geist ein und schreibt der Soziologie zugleich eine Art Vermittlungsfunktion zu.

Der Begriff der Generation kann insofern als paradigmatisches Konzept in der Entgegensetzung der »zwei Kulturen« und ihrer konfliktreichen Geschichte betrachtet werden. Denn in Mannheims Theorie der Generation wird das dreischichtige Modell direkt am Begriff selbst abgebildet. Er führt nämlich drei Ebenen des Begriffs ein: Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit.

5. Zur Archäologie der Generation als Gattungsbegriff - Mythische Narrative von Ursprung und Fortzeugung (Aristoteles, Hesiod, Bibel)

Das Auftauchen des Wortes Generation im Deutschen ist ein Übersetzungsphänomen. Es begegnet einerseits in der Folge von gr. genesis ~ lat. generatio am Übergang von der lateinischen zur deutschen Wissenschaftssprache, und zwar zunächst in der Bedeutung von Zeugung. Andererseits wird es verwendet, um jene Funktion oder Position zu bezeichnen, die die genealogische Konstitution des Gattungsbegriffs beschreibt, - so beispielsweise in Übersetzungen der griechischen Philosophie. In dem Buch seiner Metaphysik, das Aristoteles der Terminologie gewidmet hat, definiert er den Begriff der Gattung, gr. genos, als Kontinuum von Generationen des Gleichen, genesis syneches ton tö eidos, was in modernen, auf Wörtlichkeit ausgerichteten Übersetzungen in »zusammenhängende Erzeugung von solchen, welche dieselbe Form haben«, übertragen wird, 10) 1909 von Adolf Lasson aber als Aneinanderreihung von Generationen derselben Wesen übersetzt wurde:

»Von Gattung, Stamm, spricht man, wo sich kontinuierlich eine Generation von Wesen, die dieselbe Form haben, an die andere reiht. So sagt man: solange die menschliche Gattung besteht, und meint damit: solange sich eine Generation von Menschen an die andere reiht. Man gebraucht das Wort aber auch da, wo es einen ersten Urheber und eine gemeinsame Abstammung gibt.« 11)

Wird Generation hier für Aristoteles' Umschreibung von genos als einer genealogischen Einheit benutzt, so ist das Wort auch eine direkte Übersetzung von Genesis, ist also Erzeugung und Erzeugnis zugleich. Neben dieser Bestimmung der Gattung als menschlicher Genealogie, die die beiden Perspektiven von Ursprung bzw. Abstammung und Kontinuum bzw. Fortbestand einschließt, wird die Gattung von Aristoteles auch für die Einteilung und Unterscheidung von Körpern und Figuren in Anspruch genommen. Zusammenfassend heißt es dann: »Das also sind die verschiedenen Bedeutungen, in denen das Wort Gattung gebraucht wird: die Kontinuität der Erzeugung innerhalb der identischen Form; die Gleichheit der Abstammung von dem gemeinsamen Urheber und dann von der gemeinsamen Stammmaterie.«12) Während die Gattung also eine Größe bezeichnet, die nach den Kriterien von Gleichheit/Identität und Kontinuität gebildet wird, sind damit einerseits Probleme der Klassifizierung, d.h. der Abgrenzung gegenüber anderen Arten oder Familien aufgeworfen, und andererseits Fragen der Genese. In diesem Kontext spielt die Generation allein in der Dimension von Abkunft und Fortbestand eine Rolle, sodass festgehalten werden kann, dass die Generation in der antiken Philosophie mit der genealogischen Begründung der Gattung ins Spiel kommt, als Figur einer wiederholten, fortgesetzten Entstehung. So ist die Generation zwar vom Ursprung, vom ersten Bewegenden, unterschieden, bleibt aber auf ihn bezogen und impliziert zugleich den Perspektivenwechsel dieses Bezugs hin zum Blick auf den künftigen Bestand der Gattung. Man könnte auch sagen: Generation bezeichnet jene Zeugung, die der ersten (oder göttlichen) Entstehung folgt, d.h. die Fortzeugung. Im Kontinuum von Ursprung und Aneinanderreihung betrifft die Generation also den Bestand der Gattung in der Dimension der Zeit. Aus dieser Bedeutung der Generation als Glied in der Kette der Gattungswesen erklärt sich auch der ältere Sprachgebrauch, etwa in der biblischen Wendung »bis ins vierte Glied«. Die Generation bezeichnet damit jenes Teil eines Ganzen, das - im Unterschied zur Untereinheit eines klassifikatorischen Begriffs vom Ganzen - das Glied in einem generativen Begriff vom Ganzen betrifft.

In den Ursprungs- und Gründungsmythen der Gattung spielt diese Figur eine zentrale Rolle. Dabei unterscheiden sich die Erzählungen nicht nur in der Perspektive, sondern auch in den narrativen Strukturen. Wenn aus der Perspektive des Anfangs bzw. der Schöpfung erzählt wird, dann geraten die Generationen vor allem hinsichtlich ihrer die Gattung generierenden Rolle in den Blick. Wenn die Erzählung umgekehrt durch den Rückblick auf vorausgegangene Generationen strukturiert wird, dann steht die Frage der Tradition (Überlieferung) im Vordergrund, oder das Gedächtnis. Insofern hängt das Primat der leiblichen oder aber der kulturellen Konnotation hier von der Perspektive ab. In der hebräischen Bibel stehen für die zuerst genannte Form die Geschlechtsregister in der Genesis, die die Abstammung vom ersten Menschenpaar erzählen, für die zweite das Deuteronomium, das von der Wanderung durch die Wüste und vom Erinnerungsgebot des jüdischen Volkes handelt.

Material

A. Primärliteratur

2001Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, hg. v. Broder Corstmann, 3 Bde., New York u. Berlin 2001, Bd. 2, S. 563: Generation auch als Bezeichnung der Entwicklungsstufen von technischen Geräten, insbesondere Computern, Waffen, Kraftfahrzeugen und anderen Produkten, die durch eine bestimmte Technologie, Konzeption und Konstruktion gekennzeichnet sind und gegenüber der vorhergehenden Stufe eine Weiterentwicklung bedeuten. Diese Bedeutungserweiterung geht vermutlich auf den Einfluss von engl. "generation" zurück, der im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt insbesondere in den USA steht. Generation wird dabei häufig durch Angabe einer Ordinalzahl oder eines Adjektivs wie "neue, nächste" etc. spezifiziert.

B. Sekundärliteratur

Begriffsgeschichtliche Arbeiten

  • Gumbrecht, Hans Ulrich: (Art.) Generation, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. H. v. Klaus Weimar. Bd. I, A-G. Berlin, 1997, S. 697-699.
  • Riedel, M.: (Art.) Generation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter. Bd. 3, Basel/Stuttgart, 1974, Sp. 274-277.
  • Toepfer, Georg: (Art.) Generationswechsel, in: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, Stuttgart und Weimar, 2009 ff.

Sonstige Literatur

  • (Art.) Generation, in: Benner, Dietrich; Jürgen Oelkers: Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim, 2004.
  • Erhart, Walter: Generationen – zum Gebrauch eines alten Begriffes für die jüngste Geschichte der Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik (LiLi) 30/120, 2000, S. 81-107
  • Febvre, Lucien: Générations. In: Margherita Platania (Ed.): Les Mots de l’Histoire. Le vocabulaire Historique du Centre International de Synthèse. Neapel, 2000, S. 353-364
  • Febvre, Lucien: Générations. In: Bulletin du Centre International de Synthèse – Section de Synthèse historique 7, 1929, S. 36-43. (Projects d'Articles du vocabulaire historique)
  • Bellin-Milleron, J.: L’idee de génération devant le Mythe et la Biologie. In: Archives Internationales d’Histoire des Sciences 3, 1950, S. 591-598.
  • Castellani, Carlo: La storia della generazione. Idee e teorie dal diciasettesimo al diciosettesimo secolo. Mailand, 1965.
    • Rezension: Grmek, M.D., Revue de Synthèse 88, 1967, S. 92-93.
  • Ohad Parnes, Ulrike Vedder und Stefan Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Franfurt am Main, 2008.
  • Petra Gehring (Rez.) Ich bin von heute, Sie sind von gestern. Erfreulich respektlos: Eine Kulturgeschichte des Vexierworts „Generation“, in: FAZ vom 10.3.2008.
  • Rostand. J.: La genèse de la vie. Histoire des idées sur la génération spontanée. Paris, 1943.
    • Rezension: Robert Bouvier, Revue d’Histoire des Sciences 2, 1948/49, S. 370-372.

Redaktionsseite

1)
Dilthey 1964, S. 37.
2)
Nora 1996, S. 507.
3)
Nora 1996, S. 527f.
4)
Nora 1996, S. 508, Hvh. S.W.
5)
zit. nach Nora 1996, S. 501f.
6)
Nora 1990.
7)
Mannheim, Karl: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Hrsg. von Kurt H. Wolff. Luchterhand, Neuwied/Berlin 1964, S. 511 ff.
8)
Ebd., S. 516 f.
9)
Heidegger 1927, S. 384 - zit. bei Mannheim 1964, S. 517.
10)
Aristoteles 1989 in der Übersetzung von Hermann Bonitz, S. 243.
11)
Aristoteles 1909, S. 606.
12)
Übers. Lasson, Aristoteles 1909.
begriffe/generation.1366481206.txt.gz · Zuletzt geändert: 2015/12/15 14:31 (Externe Bearbeitung)