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begriffe:affinitaet

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Affinität

lat. affinis, affinitas engl. affinity
franz. affinité Gegenbegriffe Abstoßung
Wortfeldaffin, Affinograf, Anziehungskraft, (Geistes-, Wesens, Wahl-)Verwandtschaft, Wahlanziehung, Ähnlichkeit, Attraktion, Sympathie, Bindung, Beziehung, Verhältnis

Disziplinäre Begriffe

Allgemein: Nachbarschaft, Verwandtschaft, besonders die geistige Verwandtschaft und die Wesensverwandtschaft.

  • Philosophie: Wesensverwandtschaft zwischen Begriffen und Vorstellungen.
  • Chemie: Triebkraft einer chemischen Reaktion; Bestreben von Atomen und Molekülen Wechselwirkungen einzugehen.
  • Mathematik: Mathematische Abbildung von Bereichen oder Räumen aufeinander, bei der bestimmte geometrische Eigenschaften erhalten bleiben. Eine Ähnlichkeit ohne Berücksichtigung der Winkeltreue. Bezeichnung für die bei einer affinen Abbildung gleichbleibende Eigenschaft geometrischer Figuren. Affine Geometrie: Sätze, die von gleichbleibenden Eigenschaften von Figuren handeln. "affine Abbildung, Affinität, Bewegung", in: Mathematik-Online-Lexikon
  • Physik: (Elektronenaffinität) die Energiedifferenz zwischen dem Grundzustand eines neutralen Atoms und des zugehörigen Anions (Wärmelehre).
  • Anthropologie: Affinale Beziehungen, Heiratsbeziehungen im anthropologischen Sinn.
  • Rechtswesen: Schwägerschaft, das Verhältnis zwischen dem einen Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten.
  • Biologie: Eine der Ursachen für Gestaltungsbewegungen von Protoplasma. Definitionen aus Lexikon der Biologie, Spektrum Akademischer Verlag
  • Biochemie: Ein Maß für die Reaktivität von Biomolekülen.
  • Biometrie: Zwei Aufnahmen eines biometrischen Merkmals, die denselben Ursprung haben, also vom selben Körper(-teil) aufgenommen wurden.
  • Soziologie: Anziehungskraft, die Menschen aufeinander ausüben.
  • Linguistik: a) Ähnlichkeit zwischen semantisch ähnlichen Wörtern. b) Die Erscheinung, dass bestimmte Wörter relativ häufiger zusammen mit anderen Wörtern auftreten. c) Ähnlichkeiten zwischen unverwandten Sprachen.
  • Sozialpsychologie: Anziehungskraft, die Menschen aufeinander ausüben.
  • Weitere Disziplinen: Logik, Genetik, Medizin

Material

Primärquellen

1704Isaac Newton, Optics: Chemische Verbindungen als Ergebnis der Wirkung spezischer Attraktionskräfte (s. Anziehung zwischen Stoffen, die aktiv Teilchen anderer Stoffe anziehen. Vgl. die Beziehung zur Gravitation)
1732Zedler, Johann Heinrich: (Art.) Adfine/ Adfines/ Adfinitas, in: Grosses vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 1, S. 287-288. Adfine, Adfines, Adfinitas. Sowie: Affines, S. 399. Affines. Adfines: "Was mit einer Sache Gleichheit oder Verwandschaft hat. (…)"
1775Schufle, J.A.: Introduction. In: Torbern Bergman, A dissertation on elective attractions. Transl. by J.A. Schufle. … [1775]: Repr. New York: Johnson Reprint Corp 1968 (= The sources of science, 43). Bergmans erster Übersetzer, Heinrich Tabor, überträgt lat. 'attractio electiva' noch wörtlich mit 'auswählender Anziehung'; nahezu gleichzeitig entsteht der Neologismus 'Wahlverwandtschaft'
1781 Affinität ist bei Kant der "Grund der Möglichkeit der Association des Mannigfaltigen, so fern er im Objecte liegt." Das Gesetz einer biologisch zu verstehenden Affinität fordert nach Kant "einen continuierlichen Übergang von einer jeden Art zu jeder anderen durch stufenartiges Wachsthum der Verschiedenheit.", KdrV, S.
Kant nach (Art.) Affinität, in: Eisler Kantlexikon, 1930: "Affinität. "Der Grund der Möglichkeit der Assoziation des Mannigfaltigen, sofern er im Objekte liegt, heißt die Affinität des Mannigfaltigen", KrV 1. A. tr. Anal. 1. B. 2 H. 2. Abs. 4 (I 717—Rc 196). Begreiflich ist diese Affinität der Erscheinungen, "dadurch sie unter beständigen Gesetzen stehen und darunter gehören müssen", durch die Zugehörigkeit aller Erscheinungen (als Vorstellungen) zur transzendentalen Apperzeption (s. d.), deren Identität (s. d.) in die Synthesis des Mannigfaltigen der Erscheinungen hineinkommen muß, wodurch sie gesetzmäßig verknüpft werden. "Also stehen alle Erscheinungen in einer durchgängigen Verknüpfung nach notwendigen Gesetzen und mithin in einer transzendentalen Affinität, woraus die empirische die bloße Folge ist", ibid. (I 718—Rc 198). Die erstere liegt in dem "Grundsatze von der Einheit der Apperzeption in Ansehung aller Erkenntnisse, die mir angehören sollen." "Nach diesem müssen durchaus alle Erscheinungen so ins Gemüt kommen oder apprehendiert werden, daß sie zur Einheit der Apperzeption zusammenstimmen, welches ohne synthetische Einheit in ihrer Verknüpfung, die mithin auch objektiv notwendig ist, unmöglich sein würde." Die Affinität der Erscheinungen ist die Folge einer "Synthesis in der Einbildungskraft, die a priori auf Regeln gegründet ist", ibid. 3. Abs. (I 724—Rc 210f.). — "Ich verstehe unter der Verwandtschaft die Vereinigung aus der Abstammung des Mannigfaltigen von einem Grunde." Das Vermögen der Vorstellungsverbindung nach solcher Affinität ist eine der Arten des "sinnlichen Dichtungsvermögens" (der Einbildungskraft). "Es muß immer ein Thema sein sowohl beim stillen Denken als in Mitteilung der Gedanken, an welches das Mannigfaltige angereiht wird, mithin 'auch der Verstand dabei wirksam sein; aber das Spiel der Einbildungskraft folgt hier doch den Gesetzen der Sinnlichkeit, welche den Stoff dazu hergibt, dessen Assoziation ohne Bewußtsein der Regel doch derselben und hiermit dem Verstande gemäß, obgleich nicht als aus dem Verstande abgeleitet, verrichtet wird", Anthr. 1. T. § 31 C (IV 79 f.). Vgl. Assoziation, Art."
Zu Kant nach (Art.) Einheit, systematische, in: Eisler, Kantlexikon, 1930: "Es muß in den Erscheinungen trotz ihrer Mannigfaltigkeit eine gewisse "Gleichartigkeit" vorausgesetzt werden, ohne welche das logische Gesetz der Gattungen (s. d.), ja kein Verstand und keine Erfahrung möglich wäre, ibid. (I 554 ff.—Rc 697 ff.). Die 'Prinzipien der systematische Einheit' sind: 1. das 'Prinzip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen'; 2. der 'Grundsatz der Varietät des Gleichartigen unter niederen Arten'; 3. das 'Gesetz der Affinität aller Begriffe', welches 'einen kontinuierlichen Übergang von einer jeden Art zu jeder anderen durch stufenartiges Wachstum der Verschiedenheit gebietet'.
1791Kant, Einleitung in die Kritik der Urteilskraft KdU, S. : "Also ist es eine subjektiv- notwendige transzendentale Voraussetzung, daß jene besorgliche grenzenlose Ungleichartigkeit empirischer Gesetze und Heterogeneität der Naturformen der Natur nicht zukomme, vielmehr sie sich, durch die Affinität der besonderen Gesetze unter allgemeinere, zu einer Erfahrung, als einem empirischen System, qualifiziere."
1794Guyton de Morveau, Louis-Bernarnd: Allgemeine theoretische und praktische Grundsätze der chemischen Affinität. A.d.Franz. v. David Joseph Veit. M. Anm. v. S.F. Hermbstädt. Berlin 1794.
1801Claude Louis Berthollet: Recherches sur les lois de l'affinité / Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft (1802): Neuformulierung des Konzeptes von Affinität auf quantitativer Basis (nicht 'spezifische Attraktion', sondern 'chemische Masse')
1809Goethe: Wahlverwandtschaften
1819"Jede zwei gegebenen Nebenarten grenzen so aneinander, daß sich ein steter Übergang von der einen zur andern denken läßt". Fries, System der Logik, 116
1840Gehler, Johann Samuel Traugott: Verwandtschaft; Begriff der Affinität, in: Johann Samuel Traugott Gehler’s Physikalisches Wörterbuch. Bd. 9,3. Leipzig, 1840. S. 1857-1865.
1851Darwin Die Entstehung der Arten, 15. Kap. Allg. Wiederholung und Schluß: "Die von Naturforschern gebrauchten Ausdrücke Affinität, Verwandtschaft, gemeinsamer Typus, elterliches Verhältnis, Morphologie, Anpassungscharaktere, verkümmerte und fehlgeschlagene Organe u.s.w. werden statt der bisherigen bildlichen eine sachliche Bedeutung gewinnen. Wenn wir ein organisches Wesen nicht länger wie die Wilden ein Linienschiff als etwas ganz jenseits ihres Fassungsvermögen Liegendes betrachten, wenn wir jedem organischen Naturerzeugnisse eine lange Geschichte zugestehen".
Darwin Die Entstehung der Arten, Kap. Bastardbildung: "Ebenso ist es nicht überraschend, dass die Leichtigkeit, eine erste Kreuzung zu bewirken, die Fruchtbarkeit der daraus entsprungenen Bastarde und die Fähigkeit wechselseitiger Aufeinanderpropfung, obwohl diese letzte offenbar von weit verschiedenen Ursachen abhängt, alle bis zu einem gewissen Grade mit der systematischen Verwandtschaft der Formen, welche bei den Versuchen in Anwendung gekommen sind, parallel gehen; denn mit dem Ausdrucke »systematische Affinität« will man alle Arten von Ähnlichkeit bezeichnen."
1917Haeckel versteht unter Affinität die zwei Urzustände der Weltseele, Attraktion und Repulsion. Kristallseelen, 106 f.

Begriffsgeschichtliche Literatur

  • Bernsmann, M.: (Art.) Affinität, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter. Bd. 1, Basel/Stuttgart, 1971, Sp. 101.
Inhalt: Schwerpunktmäßig die Erkenntnistheorie Kants erörternd. Sehr kurze Erörterung der biologischen Bedeutung des Begriffes bei Kant, Fries und Haeckel. Kurzer Eintag, keine wissenschaftsgeschichtliche Dimension. Keine Erörterung des Begriffes in Soziologie, Anthropologie, Linguistik, vor allem nicht in der Chemie.

Sekundärliteratur

  • Enzyklopedie d. Neuzeit
  • Art. Eisler.;
  • W. Neuser, Natur und Begriff, 153-158.
  • (Art.) Affinität. In: Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz; fortgeführt von Otto Basler. Bd. 1: A-Präfix - Antike. Berlin, 1995.
  • (Art.) Affinität in: Arnim Hermann: Lexikon Geschichte der Physik A-Z. Köln, 1987.
  • Adler, Jeremy: „Eine fast magische Anziehungskraft". Goethes "Wahlverwandtschaften" und die Chemie seiner Zeit. München, 1987.
  • Berger, Jutta: Affinität und Reaktion. Über die Entstehung der Reaktionskinetik in der Chemie des 19. Jahrhunderts. (Studien und Quellen zur Geschichte der Chemie, 11) Berlin, 2000; (zugl. Diss. TU Berlin.)
  • Berger, Jutta: Ideen über die Verwandlung der Stoffe. Chemische Materietheorien und Affinität im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin, 1998.
  • Bloch, Ernst: Das chemische Affinitätsproblem, geschichtlich betrachtet. Isis 8, 1926, S. 119-157.
  • Carrier, Martin: Atome und Kräfte. Die Entwicklung des Atomismus und der Affinitätstheorie im 18. Jahrhundert und die Methodologie Imre Lakatos'. Diss. Univ. Münster, 1984.
  • Carrier, Martin: Die begriffliche Entwicklung der Affinitätslehre im 18. Jahrhundert. Newtons Traum - und was daraus wurde. Archive for History of Exact Sciences 36/4, 1986, S. 327-389.
  • Duncan, Alistair Matheson: Eighteenth century theories of chemical affinity and attraction. Diss. Univ. of London, 1971.
  • Duncan, Alistair Matheson: Some theoretical Aspects of Eighteenth Century Tables of Affinity. In: Annals of Science 18, 1971, S. 177-195 u. 217-232.
  • Engell, Lorenz: Affinität, Eintrübung, Plastizität. Die drei Figuren der Medialität aus der Sicht des Kinematographen [zu Kracauers Konzept der Affinität des Films: ein Medium unterhielte, bestimmt durch seine Technik und materiale Beschaffenheit, Beziehungen zu ganz bestimmten, es unmittelbar berührenden Sachverhalten].1)
  • Goupil, Michelle: Du flou au clair? Histoire de l’affinité chimique de Cardan à Prigogine. Paris, 1991.
    • Rezension: Emmanuel Grison, Revue d’Histoire des Sciences 49/1, 1993, S. 115-117.
  • Hertwig: Allg. Biologie 1923, 505: (vegetative Affinität’ in Bezug auf Pfropfung)
  • Hoffmann, Christoph: "Zeitalter der Revolutionen". Goethes Wahlverwandtschaften im Fokus des chemischen Paradigmenwechsels, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67/3, 1993, S. 417-450.
  • Klein, Ursula: Verbindung und Affinität. Die Grundlegung der neuzeitlichen Chemie an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Basel u.a., 1994 (= Science networks: Historical studies, 14); (zugl. Diss. Univ. Konstanz, 1993.)
    • Rezension: Marco Beretta: Archives Internationales d’Histoire des Sciences 47, 1997, S. 211.
  • Levere, Trevor H.: Affinity and matter. Elements of chemical philosophy 1800-1865. Oxford, 1971. (Repr. Yverdon u.a.: Gordon and Breach Science Publ., 1993) (Classics in the history and philosophy of science, 12).
  • Markert, Achim: Chemische Affinität. (Warum laufen chemische Reaktionen ab?) Frankfurt a.M. u.a., 1978.
  • Pörksen, Uwe: Goethes Kritik naturwissenschaftlicher Metaphorik und der Roman 'Wahlverwandtschaften', in: ders., Deutsche Wissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien, Tübingen 1986, S. 97-125.
  • Stengers, Isabelle: Die Doppelsinnige Affinität. Der Newtonsche Traum der Chemie im Achtzehnten Jahrhundert. In: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften. Frankfurt a.M., 1998. S. 527-567.
  • Wiberg, Egon: Die chemische Affinität. Eine erste Einführung in die Lehre von der Triebkraft chemischer Reaktionen. 2., weitgehend umgearb. u. stark erw. Aufl. Berlin u.a., 1971 [1. Aufl. 1951].

1)
Vgl. Siegfried Kracauer, Theorie des Films (1960), Frankfurt a.M. 1985, S. 95-112
begriffe/affinitaet.1360488757.txt.gz · Zuletzt geändert: 2015/12/15 14:28 (Externe Bearbeitung)