Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


begriffe:umwelt

Dies ist eine alte Version des Dokuments!


Umwelt


engl. environment franz. environnement
dän. Gegenbegriffe Innenwelt, Anlage/Disposition
WortfeldAtmosphäre, Lebenskreis, Mitwelt, Milieu, Peristase, Aussenwelt, Umgebung(en)

Disziplinäre Begriffe

  • Allgemein: Umwelt-, umwelt- <erster Bestandteil von subst. (und seltener) adj. Komp.> , auf den natürlichen Lebensraum von Mensch, Tier und Pflanze bezogen. Lebensbereich eines Menschen, Gesamtheit der die natürlichen Lebensbedingungen der Menschen bildenden Gegenstände. Die den Menschen umgebende Welt.

Environ (franz.):

  • Allgemein: Zunächst in der Bedeutung 'im Umfeld, in der Nachbarschaft' (temporal, lokal usw.).

Environnement (franz.):

  • Allgemein: Zunächst im Sinne von 'Kreislauf, Umriss, Aktion des Umringens' (veralt.).
  • Geographie: (Human)geographisch in der Bedeutung 'Ensemble der ein Lebewesen umgebenden physikalischen Elemente und Phänomene'.
  • Ethnologie/ Ökologie: Hier im Sinne von 'Ensemble der natürlichen und kulturellen Konditionen, die Einfluss auf lebende Organismen und das Handeln der Menschen haben'.

Material

A. Primärmaterial

1800 Im Deutschen nach Grimm (1854-1961) ist Umwelt in der Bedeutung „die den Menschen umgebende Welt" seit Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitet. „Man hat daher die Frage aufgeworfen, ob es etwa eine Entlehnung aus dän. omverden sei […]. Dieses Wort ist aber erst 1823 belegt und gilt in Dänemark /1613/ als Entlehnung aus dem Dt“ (Trübners Deutsches Wörterbuch, Begr. v. Götze, Alfred; Hrsg. v. Mitzka, Walther, Bd. 7, 1956).
Mitte 19. Jh.Nach Trübner (ebd.) erfährt Umwelt seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Bedeutungserweiterungen und wird „zur Wiedergabe des franz. milieu benutzt und damit im Naturalismus zu einem wichtigen Begriff der Kunsttheorie.“
1909Uexkuell, Jakob Johann von: Umwelt und Innenwelt der Tiere. Paris, 1909. Der deutsche Biologe von Uexkuell (1864-1944) verwendet Umwelt und Innenwelt der Tiere im engeren biologischen Sinn.
1913Jaspers, Karl: Allg. Psychopathologie, Berlin 1913, S. 19ff. identifiziert die Konzepte Innenwelt und Umwelt - Anlage und Milieu
1922Für J. von Uexküll 1) umfaßt die Umwelt "außer der Merkwelt auch die Wirkwelt eines Subjektes und sie kann durch die Umweltforschung, die auch als 'Weltmittelpunktsmethode' bezeichnet wird, von dem Beobachter rekonstruiert werden." Th. v. Uexküll, (Art.) Eigenwelt, in: HWdPh,. Bd. 2, Sp. 342.
1960er /70erUmwelt erfährt vermutlich unter anglo-amerikanischem Einfluss eine erneute Bedeutungserweiterung und Frequenzsteigerung und wird um circa 1970 zu einem modernen Schlagwort in zahllosen Zusammensetzungen (Heberth 1977). Gruhl in Meyers Enz. Lex. (2979): „Das Wort ,Umwelt’ ist eines der am häufigsten gebrauchten Modewörter, obwohl es erst Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in einer neuen Bedeutung aufkam. Erstmals tauchte das Wort in der auch heute noch überwiegenden Zusammensetzung Umweltschutz auf […] Nicht ohne Grund sprach man zunächst in Nordamerika von ,human environment protection’, weil dort die Schädigung der Umwelt durch ,pollution’ einen besonders hohen Grad erreicht hatte“. Umwelt bildet im Deutschen zahlreiche Komposita wie Umweltschutz, Umweltverschmutzung, die wahrscheinlich nach engl. Vorbild entstanden sind, während bei Bildungen wie Umweltbewusstsein, Umweltgesetz etc. nicht zu entscheiden ist, ob sie ein engl. Vorbild wiedergeben oder ob es sich um eigenständige deutsche Bildungen handelt. s. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, hg. v. Broder Corstmann, 3 Bde., New York u. Berlin 2001, Bd. 3, S. 1612f.
1984Luhmann, Niklas: Soziale Systeme; Konzeption des Menschen als "Umwelt des Systems"

B. Sekundärmaterial

Begriffsgeschichtliche Arbeiten

  • Müller, G. H.: (Art.) Umwelt, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter, K. Gründer u. G. Gabriel. Bd. 11, Basel, 2001, Sp. 99 - 105.
Inhalt: Der Begriff taucht zu Beginn des 19. Jhs. im Deustchen auf und meint hier die 'Gesamtheit der Aspekte einer in quasi-natürlicher Unimittelbarkeit erfahrenen Umgebung (zunächst: Landschaft)'. Im 20. Jhd. wird der Begriff ubiquitär.
Erstmals und als eigene Wortbildung wird der Begriff von dem dänischen Dichter des Hainbundes J. I. Baggesen verwendet. Der Begriff bezieht sich hier jedoch auf ein 'feindliches Äußeres'. Goethe benutzt den Begriff, ins positive gewendet, in seiner Italieneischen Reise. Zu Beginn des 19. Jhs. ist Umwelt 'als nicht definierte, konzeptfreie, vorwiegend auf den Menschen bezogene, nahezu topographische Wortneubildung anzusehen, die 'umgebende Welt', 'Umgebung', 'Umgegend', 'Ausßenwelt' u.ä. ergänzen kann.' Zunächst ist im Deutschen, v.a. in der Kunsttheorie der Begriff des 'Milieus' vorherrschend. Im Zuge der 'Darwinisierung' im 19. Jhd. wird Umwelt im zunehmendem Maße (in Bezug auf die Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und umgebendem Raum) verwendet. In diesem Sinne präzisiert wird der Begriff von J. von Uexküll gebraucht. Er subjektiviert den Umweltbegriff, d.h. ein jedes Lebewesen hat seine spezifische Umwelt: 'Mittels Rezeptoren wird eine Summe von Reizen oder Merkmalen (Merkwelt) subjektiv erfasst, auf die Effektoren mit Wirkmalen (Wirkwelt) reagieren. Merkwelt und Wirkwelt bilden so den Handlungsraum der Umwelt', die sich nach dem Differenzierungsgrad der Sinnes- und Bewegungsorgane richtet.
In der Philosophie findet der Begriff in der transzendentalen Phänomenologie E. Husserls Verwendung. M. Heidegger setzt sich, wie späther A. Gehlen kritisch mit Uexküll auseinander. Gehlen betont, dass in Bezug auf den Menschen der Uexküll'sche Begriff der Umwelt nicht zutrifft, da ein Wesen, "dem die ganze Fülle des Raumes und der Zeit offensteht, (…) Welt und nicht Umwelt" habe. In der Soziologie findet der Begriff bei E. Durkheim, in der marxistischen Theorie bei K. Kautsky, in der Psychologie bei J. Piaget und K. Lewin Verwendung. In den neueren Kreislauf- und Systemmodellen der Biologie, Genetik, Ökologie, Pädagogik, Psychologie und Soziologie wird der Umweltbegriff zusehends von dem Begriff des 'Ökosystems' überlagert. Dennoch besteht der Begriff in verschiedenen Bereichen fort, so seit den 70er Jahren in der Umweltpolitik und Umweltbewegung, der Umweltpsychologie usw. Formal hoch präzisiert ist der Begriff in der Systemtheorie N. Luhmanns. Die postmoderne Medientheorie liest Umwelt als Text und löst den Begriff damit von der Vorstellung der anderen 'ursprünglichen' Natur, als welche Umwelt im Umgangssprachgebrauch weiterhin bezeichnet wird.
Jüngster Literaturhinweis 1998.
  • Toepfer, Georg: (Art.) Umwelt, in: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, Stuttgart und Weimar 2009 ff. (im Druck)

Siehe auch:

  • Debus, J. u.a.: (Art.) Lebensraum, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5, Basel/Stuttgart, 1980, Sp. 142 - 147.
  • Feldhoff, J.: (Art.) Milieu, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5, Basel/Stuttgart, 1980, Sp. 1393 - 1395.
  • Hajos, A.: (Art.) Adaptation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 1, Basel/Stuttgart, 1971, Sp. 81 - 82.
  • Hinrichs, W.: (Art.) Lebenskreis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5, Basel/Stuttgart, 1984, Sp. 128 - 129.
  • Lang, A: (Art.) Ökologie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 6, Basel/Stuttgart, 1984, Sp. 1146 - 1149.
  • Tischler, W.: (Art.) Ökosystem, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 6, Basel/Stuttgart, 1984, Sp. 1173.

Sonstige Literatur

  • Albertsen, L.L.: Umwelt. In: Zeitschrift für deutsche Sprache 21, 1966, S. 115-118.
  • Dubos, René: Art. Environment, in: Dictionary of the Historys of Ideas (online)
  • Deeley, John: The Thomistic import of the neo-kantian concept of Umwelt in Jacob von Uexküll. Angelicum 81, 2004, S. 711-732.
  • Feldhoff, J.: Milieu, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, S. 1393-1395.
  • Glacken, C. J.: Environment and Culture, in: Ph.P. Wiener (Hg.): Dictionary of the History of Ideas, vol. II, New York 1973, S. 127-134.
  • Gombert, A.: Umwelt. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 7, 1905, S. 150-152.
  • Gutmann, Wolfgang Friedrich; Karl Edlinger: Organismus und Umwelt. Entstehung des Lebens. Evolution und Erschließung der Lebensräume. Bern u.a., 2002. (Organismus und System, 6)
  • Haß, U.: Etymologie oder Begriffsgeschichte? Zum Beispiel: Umwelt. In: Spracheport 4, 1987, S. 7-10.
  • Haß, U.: Umwelt. In: G. Strauß/ U. Haß/ G. Harras (Hg.): Brisante Wörter von Agitation des Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch, Berlin, New York 1989, S. 395-557.
  • Hermanns, F.: Umwelt. Zur historischen Semantik eines deontischen Wortes, in: D. Busse (Hg.): Diachrone Semantik und Pragmatik, Tübingen 1991, S. 235-257.
  • Kluge, F.: Umwelt. In: F.K., Wortforschung und Wortgeschichte. Aufsätze zum deutschen Sprachschatz, Leipzig 1912, S. 125-127.
  • Langthaler, Rudolf: Organismus und Umwelt. Die biologische Umweltlehre im Spiegel traditioneller Naturphilosophie. Hildesheim, 1992. (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, 34)
  • Maslow, Abraham H., Motivation und Persönlichkeit [1954], Reinbek 1984.
    • darin: S. 56f.: Kapitel: Umwelt
    • S. 316f.: Kapitel: Umwelt und Persönlichkeit
  • Moltmann, Jürgen: Art.: Ökologie. In: Theologische Realenzyklopädie. Hg. von Gerhard Müller. Bd. XXV. Berlin, 1995. S. 36-46.
  • Radkau, Joachim: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgechichte, München 2011.
  • Stosch, J.: Umwelt – milieu. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 7, 1905, S. 58-59.
  • Spitzer, Leo, Milieu and Ambience, in: Ders., Essays in Historical Semantics, New York 1948.
    • darin: S. 236-245: IV: German Umwelt: whereas Umwelt, its alleged offspring, appears as early as 1800. … Umwelt: Außenwelt, Innenwelt, Welt. The first two words had probably a pietistic origin; Aussenwelt is also to be found in the writings of Bettina von Arnim, and, after 1811, Innenwelt appears in Goethe … But later, under the influence of the biologico-sociological “milieu” of Taine, Umwelt was deflected from its course in the direction of milieu; thus a second “accident” influenced the career of this word. Although of a vague and intangible reference at the beginning, it came to be invested with the sharply circumscribed task of translating a technical term of science. But Umwelt was never swept completely within the orbit of milieu; even today its original subjective nuance has not been lost for it refers to the “milieu” not simply as to objective environment, but in so far as this is seen from the point of view of the individual. Umwelt is also, even today, I feel, a more poetic word than is the technical milieu, become prosaic. … The two terms Milieu and Umwelt live side by side in the language, much as do environment and milieu in English – though environment, coined by Carlyle to render a biological term, was confined from the start to a narrower sphere than Umwelt; moreover, with its French word-parentage, it represents a term less indigenous./ Goethe himself, in order to render the milieu (ambiant) of contemporary French biologists, used, not Umwelt but Umgebungen. … The three terms Umgebung, Umwelt and Innenwelt have been analyzed in terms of animal life by the biologist von Uexküll (“ Umwelt und Innenwelt der Tiere”, 1909) “ jedes Tier besitzt seine eigene Umwelt” … The perception given to the particular being (‚alles was ein Subjekt merkt’) forms its Merkwelt , the range of its activity (‘alles was er wirkt’) forms its Wirkwelt, so that Umwelt= Merkwelt+ Wirkwelt…. Only a slight shift was necessary, ironically enough, to turn this insubstantial Umwelt into a very concrete Lebensraum, to which man, that is to say, the German people, was entitled to claim; and to turn German Innerweltlichkeit into a will to world-domination. … in the index of the Einführung in die Völkerpsychologie (1938) by Willy Helpach, the former Democratic candidate for the presidency of the Reich who turned Nazi, is listed “ Umwelt, p. 42f.” (in fat characters), referring, ostensibly to the principal passage in which the milieu-idea is treated; and what is actually written on page 42 of the text is “Der Volkslebensraum: Klima und Landschaft”!

Redaktionsseite

1)
J. v. Uexküll: Wie sehen wir die Natur und wie sieht sie sich selber? Naturwissenschaften (1922), S. 320.
begriffe/umwelt.1362236123.txt.gz · Zuletzt geändert: 2015/12/15 14:37 (Externe Bearbeitung)