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begriffe:synergie

Synergie

von Tatjana Petzer


gri. συνεργία (synergía)/ συνεργισμός (synergismós) engl. synergy
franz. synergie Gegenbegriffe Dysergie
WortfeldSynergismus, Synergieeffekt

Disziplinäre Begriffe


Synergie-Konzepte sind – zumeist ohne disziplinäre Differenzierung – in der Gesellschafts- und Naturphilosophie, in der Ästhetik, Anthropologie, Soziologie und Religion, in der Medizin und den Naturwissenschaften im Gebrauch. Im 20. Jahrhundert wird das Wissen um Synergien programmatisch für struktur- und systemtheoretische Modellbildungen. Auffällig dabei ist, dass ausgesprochen interdisziplinäre Synergie-Konzeptionen gerade auf Analogien in der Wahrnehmung und konzeptionellen Modellierung synergetischer Phänomene in Natur und Gesellschaft aufzubauen scheinen. Lexika-Einträge und wissenschaftliche Beiträge aus einzelnen Fachdiskursen geben bisher kaum Aufschluss über die diskursiven Verschiebungen und semantischen Transfers von Synergie-Konzepten zwischen den Wissensfeldern; eine kulturwissenschaftliche Begriffsgeschichte steht noch aus.


Ursprung des Begriffs und Transfer

Die meist auf Aristoteles ohne spezifischen Begriffsbeleg zurückgeführte συνέργεια (synergeia) – gebildet aus griech. syn (zusammen, mit) und ergon (Werk, Arbeit) – zeigt zum einen an, dass es sich bei der aus der Kooperation von mindestens zwei Komponenten entstandenen Verbindung um eine wirksame Größe handelt. Mit Verweis auf Aristotelesʼ Metaphysik – wo es über die Substanz und das "begriffliche Wesen" heißt: "Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile" 1), – wird zudem die neue strukturelle Beschaffenheit einer synergetischen Verbindung betont, die aus deren Einzelkomponenten nicht hinreichend erklärt werden kann. Ungeklärt ist noch, inwieweit sich Disziplinen, in denen die Synergie als Denkfigur artikuliert oder indirekt mit synergetischen Effekten operiert wird, auf der aristotelischen Substanzlehre gründen.

In der neuzeitlichen Pharmazie und Medizin war die Bedeutung von anorganischen und organischen Synergien bekannt. Zur Erzielung größerer Heilwirkungen wurden Kombinationen von Substanzen eingesetzt, deren wechselseitige Verstärkungseffekte bekannt waren. Von synergeia sprach insbesondere der Hallenser Medizinprofessor Georg Ernst Stahl (1656-1734), der nicht nur eine praxisorientierte Theorie der wechselseitigen Reaktionen von Körper und Seele unterbreitete und damit den Grundstein für die Psychosomatik legte. Stahl, der naturphilosophisch-holistische Ansätze in der Medizin seiner Zeit reaktivierte, beschrieb in De synergeia naturae in medendo (1695) das Zusammenwirken von Natur und Arznei und den Arzt selbst als "Mitarbeiter der Natur".

In Russland kann eine Traditionslinie verfolgt werden, die von der antiken Philosophie über den Neuplatonismus und das Schrifttum der Kirchenväter sowie die spätmittelalterliche Theologie der Ostkirche – das theologische Synergie-Paradigma, demzufolge die Getauften "Gottes Mitarbeiter" (I Kor 3,9) für das Heil und die Heilung der Welt seien, wurde hier insbesondere in Anlehnung an die Auslegungen von Maximus dem Bekenner und Grigorios Palamas vertreten 2) – bis zu den Wissenstransformationen um 1900 reicht, als nicht nur der Energie- sondern offensichtlich auch der Synergie-Begriff Eingang in die Physik und die Naturphilosophie fanden. Die kulturtheoretischen Schriften des russischen Mathematikers, Schriftstellers und orthodoxen Priesters Pavel Florenskijs (1882-1937), eines Verfechters der Synthese der Wissensdisziplinen, sind ein prominentes Beispiel dafür, dass Synergie-Konzepte um 1900 zwischen verschiedenen diskursiven Feldern zirkulierten und in die neuen Anwendungsfelder der Physik und Elektrotechnik eingingen (s.u.).

Zur gleichen Zeit, also um 1900, führte der US-amerikanische Paläontologe Lester Frank Ward (1841-1913) den Begriff der Synergie in die Soziologie 3) als "universal principle, operating in every department of nature and at every stage in evolution, which is conservative, creative, and constructive" 4) ein. Dabei stellte er die sozialen Synergien in eine Reihe mit Synergie-Phänomenen in der Chemie, Biologie, Physiologie, Physik. Der Begriff der Synergie sei, so Ward, "best adapted to express its twofold character of energy and mutuality, or the systematic and organic working together of the antithetical forces of nature". 5) Synergie – "synthetic work" – erkläre alle Organisationprinzipien und Strukturen, denn "synergy is construction". 6)

Synergeia in der Slavia Orthodoxa

Das neutestamentliche συνέργεια, das Zusammenwirken von Gott und Mensch, ist in der orthodoxen Theologie und Religionsphilosophie zentral und bildet den Kerngedanken der Θεωσις (théōsis, Theosis), der Vergöttlichung des Menschen im Erlösungsprozess. Die Inkarnation des Logos, in der die Umgestaltung des gesamten Sozio-Kosmos, also auch des menschlichen Seins bereits enthalten ist, leitet den synergetischen Prozess, d. h. den Weg der spirituellen Vervollkommnung, die Erneuerung und Transformation der Menschen ein.

Florenskij verwendete den Synergie-Begriff sowohl theologisch und religionsphilosophisch als auch zur Beschreibung sprachphilosophischer, sozio-kultureller und naturwissenschaftlich-technischer Prozesse. Er bündelt diese Bedeutungen in einem philosophisch-theologisch-physikalischen Synergie-Modell des Wortes und des Namens. Das Wort, so Florenskij, ist "synergetisch: Energie" 7), "das Wort, der Logos – ein neuer Augenblickszustand der Wirklichkeit" 8) ist ein Resonanzphänomen par excellence: "Die Resonanz ist nicht das Wirken der einen oder anderen Reihe, sondern das Zusammen-Wirken der Reihen. Im Resonator schwingt nicht nur seine Energie und nicht nur die Energie des Vibrators, sondern die beider – Synergie; durch ihr Vorhandensein werden zwei Reihen, obwohl räumlich getrennt, zu einer."9)

Das von Florenskij unterbreitete Denkmodell nimmt insofern kulturtheoretische Züge an, als es eine Reihe von Disziplinen vereint: Sein ontologisches Erkenntnismodell knüpft an Aristoteles an, demzufolge sich das Wesen (ousía) erst durch eine ihm innewohnende Energie (energeia) in seiner Einheit verwirkliche und als solche wahrgenommen werde. Die in ihrem Wesen unverbunden bleibende Co-Existenz einzelner Seinselemente kann zum einen nicht auf ein einziges Sein reduziert werden, und schafft zum anderen im gegenseitigen Durchdringen der Energien "etwas Neues", eine Synergie, die "mehr als die Summer der Seinsenergie" der sich darin offenbarenden Elemente ist.10) Um die energetische Wirkkraft des Wortes zu beschreiben, greift Florenskij darüber hinaus auf die in Russland sehr lebhaft rezipierte Energetik Wilhelm Ostwalds11) zurück. Im Unterschied zu Ostwald aktivierte Florenskij – in der Tradition der mystisch-kontemplativen Lehre der Namensverehrung bzw. Onomatodoxie (imjaslavie) stehend – zudem ein theologisches Energie- und Synergiekonzept. Das Wort und insbesondere der Name wirke durch die göttliche Einwirkung in menschlicher Rede und durch die menschliche Mitwirkung an den Energien Gottes.12) Schließlich war Florenskij davon überzeugt, die Verwirklichung des theologischen Theosis-Modells könne mit mathematisch-statistischen Mitteln erfasst werden und die potentielle Entwicklung des Menschen ließe sich im Kurvenverlauf der Wachstumsfunktion abbilden, die das Verhältnis von Qualität und Quantität, Ousia und Hypostase, Name und Zahl symbolisch darstelle.13)

Die Synergetik des Planens und Bauens

Der US-amerikanischer Architekt und Philosoph Richard Buckminster Fuller (1895-1983) prägte die Metapher vom "Raumschiff Erde"14), um das Gebot kybernetischen Handelns in Hinblick auf das ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Gesamtsystem zu verdeutlichen. Um das Überleben zu sichern, müsste jegliche einengende Spezialisierung, unkooperatives Verhalten und räumlicher Separatismus auf diesem Raumschiff überwunden und statt dessen mit vorausschauenden, "komprehensiven" Denkinstrumenten wie "Synergie" operiert werden. Für Fuller stellte die Synergie den einzigen Begriff dar, der das "Verhalten ganzer Systeme kennzeichnet, das nicht aus den getrennt beobachteten Verhaltensweisen irgendwelcher separater Systemteile oder irgendwelcher Untergruppen von Systemteilen bestimmt werden kann."15) In Synergie, so Fuller, liege nicht nur das "Wesen der Chemie"16), vielmehr sei Synergie das Wesentliche an sich 17), die Ganzheit der Erfahrung und des Wissens überhaupt.

Fullers "Synergetik", eine globale Design-Wissenschaft, setzt an den Schnittstellen von Systemtheorie, Philosophie, Naturwissenschaft, Technik und Kunst an und führt synergetische Strukturen in Architektur, Design und Ingenieurwesen ein. Seit der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts untersuchte er systematisch "komprehensive mathematische Ordnungsmuster" 18), mit anderen Worten: "synergetische und energetische Geometrien". Seine Entdeckungen der 1940er Jahre, die der Begründung der "Synergetik" – in Fullers Kurzdefinition eine Kombination von Topologie und Vektorgeometrie19)– vorausgingen, erschienen erst in den 1970er Jahren in Buchform.20) Die Synergetik stellt Fullers Wissenschaftsmodell für 'geodätische Architekturen' dar, die auf molekularen und atomaren Konstruktionen, und damit auf Ordnungsprinzipien der Natur von progressiver Effektivität aufbauen. Zumeist handelt es sich um Transformationen des Dodekaeders und Ikosaeders. Ähnliche Strukturen bzw. Bauprinzipen liegen Mikrolebewesen wie Viren, den Facettenaugen der Insekten, Bienenwaben, Geweben, Proteinschalen oder dem C-60 Kohlenstoffmolekül21)– zugrunde. Fullers Synergetik unterbreitete ein Praxismodell für synergetisches Handeln durch biomorphes, ökonomisch-ökologisches Konstruieren – davon zeugen nicht zuletzt die "Geodesic Domes": Leichtbaukonstruktionen, die sich durch extreme Stabilität und Flexibilität, aber auch durch eine natürlichere Schallverteilung und Luftzirkulation als bei herkömmlichen Bauweisen auszeichnen und mit zunehmender Größe an Energieeffizienz gewinnen.

Vom Laser zur Synergetik

Der Physiker Hermann Haken (*1927) begründete in den 1970er Jahren eine universalistische "science of cooperation" (Lehre vom Zusammenwirken) in komplexen dynamischen Systemen.22) Hakens Ausgangspunkt war die Interpretation des Laserprinzips als Selbstorganisation von Nichtgleichgewichtssystemen. Die Selbstorganisation, den Übergang der Unordnung in Ordnung durch sprunghafte Komplexitätsreduktion – anders ausgedrückt: der spontanen Bildung synergetischer Strukturen – erkannte Haken als ein allgemeines Prinzip nicht nur physikalischer, sondern auch chemischer, biologischer, ökonomischer und soziologischer Systeme. Mit der Übertragung der Erkenntnisse über Laser auf andere Gebiete definierte er ein neues Forschungsfeld: die Synergetik. Haken definierte diese als fachübergreifende Wissenschaft, die deterministische und stochastische Prozesse auf der Suche nach universalen Strukturbildungsprinzipien untersuchte. Theoretiker, die ebenfalls in den 1970er Jahren dieser Frage nachgingen, griffen indessen nicht auf den Begriff der Synergie zurück.23) Der einzige, der das tat, war Fuller, in dessen Synergetik Haken keine Gemeinsamkeiten entdeckte: "Das Wort [Synergetics] taucht schließlich als Titel eines Buches des bedeutenden Architekten Buckminster Fuller auf. Ein Blick in dieses Buch lehrt uns aber sofort, daß dessen Inhalt nichts mit dem zu tun hat, was ich unter Synergetik verstehe."24)

Mit der Synergetik etablierte Haken eine Metatheorie, die suggeriert, gleichermaßen auf die Natur- und die Geisteswissenschaften anwendbar zu sein. Nur kann nicht für alle Systeme die Wirksamkeit der universalen Prinzipien wie im klassischen Fall des Lasers mathematisch beschrieben werden. Die Methode der Synergetik – die nichtlineare Zeitreihenanalyse und Untersuchung makroskopischer Musterbildung in dynamischen Systemen auf der Grundlage ermittelter räumlicher, zeitlicher und funktioneller Parameter – findet ihre Anwendung bspw. in der Meteorologie (Erforschung der Wolkenbildung), der Chemie (Musterbildung bei chemischen Reaktionen), der Biologie (Evolutionsforschung) und der Soziologie (Analyse des städtischen Wachstums). Die Synergetik inspirierte andere Disziplinen zur Entwicklung analoger analytischer Instrumentarien für strukturbildende Prozesse.25) Die Konjunktur interdisziplinärer Modellbildungen, die Hakens Synergetik initiierte, leitete dieser gewissermaßen selbst ein, als er sich dem Studium von neuronalen, psychologischen und kinetischen Prozessen zuwandte26) – ein weitgespanntes Untersuchungsterrain u.a. zu Wahrnehmungs- und Gedächtnisprozessen, zu psychischen Grundfunktionen wie Motorik und Psychoneuroimmunologie, zu kollektiven Interaktionsformen und Organisationsentwicklungen.

Synergie und Weltanschauung

Die zunehmende Intensivierung von Synergie-Diskursen im Laufe des 20. Jahrhundert steht im Zusammenhang mit Veränderungen in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Praxis. Unabhängig davon, unter welcher Perspektive (Philosophie, Religion, Soziologie, Technik, Naturwissenschaft u.a.) die Konzeptualisierung von Synergie erfolgte, berief man sich explizit auf Querverbindungen zwischen verschiedenen Wissensfeldern. Das gilt insbesondere auch für weltanschauliche Erklärungsmodelle und wirft zudem die Frage auf, inwiefern diese verschiedenen Wirklichkeitsbereiche überhaupt zueinander in Beziehung gesetzt werden können.

Der Theologe Alexandre Ganoczy (*1928) liefert in seinem Buch "Der dreieinige Schöpfer: Trinitätstheologie und Synergie" (2001) ein Modell, das stufenweise diese Synergie-Konzepte verschiedener Provenienz zusammenbringt, und begründete sein Vorgehen mit dem Analogieverständnis, das er bei Haken fand. Die Synergetik begann in der Physik, wechselte mit der Neuro- und Psychosynergetik zur anthropologischen Wirklichkeitsebene, um schließlich die naturwissenschaftlich gewonnen Erkenntnisse auf das menschliche Zusammenleben zu übertragen: "Das aufsteigende Analogisieren setzt […] beim synergetischen Verhalten der Laserstrahlen an, um dann weitere und letztendlich wesensverschiedene Dimensionen der einen Wirklichkeit einzuholen. Die Methode tritt mit universalen, holistischen Ansprüchen auf. Nichts scheint anzudeuten, dass die Dimensionen des Geistes, des Religiösen, des Ethischen und letztendlich des Göttlichen, zumindest was ihr formales 'Funktionieren' anbelangt, vom Gesichtsfeld auszuschließen wären."27) Synergie ist für Ganoczy ein "Analogbegriff"28), den er einsetzt, um über das Wesen des dreifaltigen Gottes auf der Seins-, Verhaltens- und Handlungsebene zu reflektieren. Einerseits angeregt von den östlichen Kirchenvätern und Theologen wie Nikolaus von Kues, auf die, so Ganoczy, eine ganz auf Relationen und Korrelationen bedachte Ontologie und Handlungstheorie zurückzuführen sei, und andererseits von der Strukturontologie, Strukturanthropologie und Philosophie der Konkreativität seines Würzburger Kollegen Heinrich Rombach29), prägte Ganoczys mit "Synontie" einen weiteren Syn-Begriff zur Beschreibung der ontologischen Strukturiertheit der Welt, die mit der 'dynamischen' trinitarischen Einheit (Synergie) korreliere.30)

Synergie-Konzepte, die im christlich-orthodoxen Kontext im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entworfen wurden, sind als Ergebnisse der Wissenstransformation zu werten, die zur Synthese von Wissenschaft, Anthropologie, Religion (Glauben), Technik und Kunst zu einer ganzheitlichen Episteme führten. In ihrer anthropologischen und sozialen Dimension liefern sie einen Schlüssel für Technik- und Technologieentwicklungen in der russischen Moderne, die auf die Transformation des Menschen und der Gesellschaft zielten. Seit den 1990er Jahren greifen die russische Religionsphilosophie als auch die marxistische Philosophie auf Synergie-Konzepte zurück, um die Notwendigkeit des Glaubens zu manifestieren, oder um Weltbilder naturwissenschaftlich zu stützen.31) Am interessantesten ist die "synergetische Anthropologie" (sinergijnaja antropologija), die der Physiker und Religionsphilosoph Sergej Choružij (*1941), ein Florenskij-Kenner, auf der Grundlage der Patristik begründete und institutionalisierte.32) Dieser Tendenz ging die kulturelle Einordnung von Theorien der genuin russischen philosophischen Tradition des Kosmismus ebenso wie der Ideen des Biogeochemikers Vladimir Vernadskij (1863-1945) zur Bio- und Noosphäre, die in den 1920er und 1930er Jahren im engen Austausch mit dem Jesuiten und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) formuliert wurden, voraus.33)


Material

A. Primärmaterial

1903Ward, Lester F.: Pure Sociology. A Treatise on the Origin and Spontaneous Development of Society, S. 171 ff. S.a. (Art.) Synergie, Eisler, Bd. 2, 1930, 198.
1904Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 2, S. 470: „Nach RIBOT ist die Sympathie »la base des émotions tendres«, eine Grundlage des socialen und sittlichen Lebens (Psychol. d. sent. p. 227). Sie besteht in der Existenz von gleichen Dispositionen bei mehreren Individuen derselben oder anderer Art (ib.). Drei Stadien zeigt ihre Entwicklung: 1) »synergie« (physiologisch, reflexiv, unbewußt), 2) »synesthésie«, 3) intellectuelle Sympathie, »résulte d'une communité de répresentations ou d'idées, liées à des sentiments et à des mouvements« (l. c. p. 228 ff.).“
1904Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 2, S. 471: „Synergie: Mitwirkung, Zusammenwirken."
1912Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, S. 220: „»So lebt in unserem Handeln, unserem Denken, unserem Fühlen ein Drang, der sich in altruistischem Sinne betätigt, eine Expansionskraft, die ebenso mächtig ist wie die Kraft, die den Sternen ihre Bahnen vorschreibt, und diese Expansionskraft gibt sich den Namen Pflicht, sobald sie ihrer selbst bewußt geworden ist.« Es besteht eine sittliche »Anomie«, welche Autonomie ist, ferner eine soziale »Synergie«.“ [Zu: Guyan, Jean Marie. 1854-1888, Stiefsohn Fouillées und Schüler desselben. G. ist, nach Eisler, der begeisterte Verkünder einer evolutionistischen Weltanschauung, die (bei aller Entfernung vom bloßen Individualismus) durch ihre Betonung des Lebens und dessen Wertes an Nietzsche erinnert.]
1912Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, S. 804: „Waxweiler, Emile, geb. 1867 in Malines, Direktor des Institut Solvay u. Prof. an der Université libre in Brüssel. – W. begründet die Soziologie in energetischer und psychologischer Weise. Die Soziologie hat es mit den Reaktionen zu tun, welche aus der Wechselwirkung der Individuen derselben Art entspringen, d.h. mit den Äußerungen der »sozialen Affinität«, mit der »sozialen Synergie«, mit den menschlichen Gruppen.“
1954Maslow, Abraham H.: Motivation und Persönlichkeit, Reinbek 1984 [1954], S. 132: „Unsere Konzeption von Kultur und der menschlichen Beziehung dazu muss in Richtung der ,Synergie’ geändert werden, wie es Ruth Benedict (40, 291, 312) genannt hat. Kultur kann für die Grundbedürfnisse befriedigend anstatt hemmend sein. Außerdem wird sie nicht nur für die menschlichen Bedürfnisse geschaffen, sondern auch von ihnen gestaltet. Die Dichotomie Kultur-Individuum bedarf der Überprüfung. Es sollte weniger ausschließlich der Antagonismus betont werden und mehr die Zusammenarbeit und Synergie.“

B. Sekundärmaterial

Begriffsgeschichtliche Arbeiten

  • Stadler, M.: (Art.) Synergetik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 10, Basel, 1998, Sp. 782-783. Inhaltsangabe

Siehe auch:

  • M. Heidelberger: (Art.) Selbstorganisation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 9, Basel/Stuttgart, 1995, Sp. 510-514.

Sonstige Literatur

  • Corning, P.A.: Holistic Darwinism. Synergy, Cybernetics, and the Bioeconomics of Evolution, 2005.
  • Haken, H. und R. Graham: Synergetik – die Lehre vom Zusammenwirken. Was verbindet die Physik, Chemie und Biologie? In: Umschau Wiss. Tech. 6, 1971, S. 191-195.
  • Haken, H.: Synergetics. Are cooperative phenomena governed by universal principles? In: Die Naturwissenschaften 67, 1980, S. 121-128.
  • Haken, H.: Synergetik. Die Lehre vom Zusammenwirken. Erfolgsgeheimnisse der Natur. Deutsche Verlags Anstalt, Stuttgart, 1981.
  • Haken, H.: Thermodynamics – synergetics – life. In: Journal of Non-Equilibrium Thermodynamics 12, 1987, S. 1-10.
  • Haken, H.: Entwicklungslinien der Synergetik. In: Naturwiss. 75, 1988, S. 163-172; 225-234.
  • Haken, H.: Über das Verhältnis der Synergetik zur Thermodynamik, Kybernetik und Informationstheorie. In: Selbstorganisation. Jahrbuch für Komplexität in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften 1, 1990, S. 19-23.
  • Krassmann, Susanne: Synergie, in: Bröckling (u.a.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2009. S. 251-256.
  • Krueger, F.R.: Ziel und Zweck in der Entwicklung lebender Systeme – Synergetik und das Teleologieproblem. In: Universitas 38, 1983, S. 943-953.
  • Petzer, Tatjana u. Steiner, Stephan: Synergie. Kultur- und Wissensgeschichte einer Denkfigur, München 2016.
  • Wunderlin, A. und H. Haken: Some Applications of Basic Ideas and Models of Synergetics to Sociology (= Springer Series in Synergetics, vol. 22), 1984.

Redaktionsseite


1)
Aristoteles, Metaphysik, Erste Abteilung. Die Hauptstücke, IV. Das begriffliche Wesen.
2)
Während der Synergismus der christlich-orthodoxen Kirche die Lehre von der aktiven Mitwirkung (sodejstvie) des Menschen am Heilsprozess beinhaltet, werden in der westlichen Theologie mit "Synergismus" die Konzeptionen bezeichnet, wonach der Mensch durch eigenes Bemühen neben der Gnade Gottes an seinem Heil mitwirke. Dazu zählen der Pelagianismus (5. Jh.) und Melanchthons Position, der dem menschlichen Willen die Fähigkeit zuerkannte, sich der göttlichen Gnade zuzuwenden, und damit den so genannten „synergistischen Streit“ auslöste. Vgl. Karl Christian Felmy: Synergismus, In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 8 Bde. Bd. 7. 4., völlig neu bearb. Auflage. Hg. von Hans Dieter Betz et. al. Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, S. 1956-1958.
3)
Der von Ward für die Beschreibung von gesellschaftlichen Formen des Zusammenwirkens vorgeschlagene Begriff der Synergie, wurde in den 1940er Jahren von der Anthropologin Ruth Benedict aufgegriffen; vgl. A. Maslow: Synergy in the Society and in the Individual, in: Journal of Individual Psychology 20, 1964, S. 153-164.
4)
Lester F. Ward: Pure Sociology. A Treatise on the origin and spontaneous development of society, New York: The Macmillan Co. 1903, S. 171.
5) , 16)
Ebd.
6)
Ebd., S. 174.
7)
Pawel Florenski, Die Magie des Wortes (1920), in: ders., Denken und Sprache. Werke in zehn Lieferungen, Bd. 3, aus dem Russischen von Fritz Mierau, hg. von Sieglinde und Fritz Mierau, Berlin: editionKontext 1993, S. 207-236, hier S. 222
8)
Pawel Florenski, Die allgemeinmenschlichen Wurzeln des Idealismus (1908), in: ders., Leben und Denken, Bd. 1, aus dem Russischen von Fritz Mierau, hg. von Fritz und Sieglinde Mierau, Ostfildern: Ed. Tertium 1995-1996, S. 169-200, hier S. 188.
9)
Vgl. Pawel Florenski, Namensverehrung als philosophische Voraussetzung (1922), in: ders., Denken und Sprache, S. 237-290, hier S. 244-245.
10)
Ebd., S. 243.
11)
Indem alles Sein auf Energien zurückgeführt wird, schlägt Ostwalds Energetik eine Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. In der wissenschaftsgeschichtlichen Retrospektive werden Ostwalds Arbeiten auf dem Gebiet der physikalischen Chemie als Vorläufer der Synergetik betrachtet, vgl. H.-J. Krug, L. Pohlmann: Wilhelm Ostwalds Ansätze einer synergetischen Schule, in: Uwe Niedersen (Hg.): Komplexität-Zeit-Methode III. Halle 1988, S. 69-101.
12)
Florenski, Die Magie des Wortes, S. 222.
13)
Zur Konzeptualisierung des Namens als synergetisches Wirkungskonzept vgl. Tatjana Petzer: Pavel und Aleksej, Narren um Christi willen. Zur psychophysischen Wirksamkeit von Namen bei Pavel Aleksandrovič Florenskij. In: Dies., Sylvia Sasse, Franziska Thun-Hohenstein, Sandro Zanetti (Hg.): Namen: Benennung – Verehrung – Wirkung. Positionen in der europäischen Moderne. Berlin: Kadmos 2008, S. 121-141.
14)
Richard Buckminster Fuller: Operating Manual for Spaceship Earth. New York: Dutton & Co 1963. Im Folgenden zit. nach Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften. Hg. von Joachim Krausse. Dresden: Verlag der Kunst 1998. Vgl. auch Richard Buckminster Fuller: Utopia or Oblivion. The Prospects for Humanity. Toronto: Bantam Books/New York: Overlook Press 1970; dt.: Konkrete Utopie. Die Krise der Menschheit und ihre Chance zu überleben. Düsseldorf: Econ 1974.
15) , 19)
Fuller, Bedienungsanleitung…, S. 63.
17)
Ebd., S. 89.
18)
Richard Buckminster Fuller: Einflüsse auf meine Arbeit, in: Fuller, Bedienungsanleitung…, S. 168-211, hier S. 188.
20)
Richard Buckminster Fuller: Synergetics. Explorations in the Geometry of Thinking. Unter Mitarbeit von E. J. Applewhite New York: Macmillan 1975 und Synergetics 2: Further Explorations in the Geometry of Thinking, Macmillan 1979. Vgl. auch E. J. Applewhite (Hg.): Synergetics Dictionary. The Mind of Buckminster Fuller. 4 Bde, New York: Garland 1986.
21)
Das 1985 entdeckte C60 Kohlenstoffmolekül erhielt aufgrund seiner Ähnlichkeiten mit Fullers geodätischen Kuppeln die Bezeichnung Buckminsterfulleren (auch: "Bucky Ball").
22)
Den ersten gedruckten Verweis findet man in Herman Haken, Robert Graham: Synergetik - Die Lehre vom Zusammenwirken, in: Umschau in Wissenschaft und Technik 6, 1971, S. 191. Die Ausformulierung der Lehre erfolgt in Hermann Haken: Synergetics. An Introduction. Nonequilibrium Phase Transitions and Self-Organization in Physics, Chemistry and Biology. Berlin: Springer 1977; populärwiss.: Erfolgsgeheimnisse der Natur. Synergetik. Die Lehre vom Zusammenwirken. Stuttgart 1981. Vgl. auch Hermann Haken (Hg.): Dynamics of Synergetic Systems. Berlin: Springer 1980.
23)
Vgl. insbes. Paul Glansdorff, Ilya Prigogine: Thermodynamic Theory of Structures. Stability and Fluctuations. New York: Wiley 1971; Humberto Maturana, Francisco Varela: Autopoiesis and Cognition: the Realization of the Living. Dordecht: D. Reidel 1973; Rene Thom: Structural Stability and Morphogenesis. Reading, Mass.: Benjamin 1975.
24)
Hermann Haken: Entwicklungslinien der Synergetik, I, in: Naturwissenschaften 75, 1988, S. 163-172, hier S. 170.
25)
Ein Beispiel wäre die synergetische Linguistik, vgl. Semiotik-Handbuch zu zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Bd. 3, Hg. von Roland Posner, Klaus Robering, Thomas A Sebeok. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003, S. 2444-2452.
26)
Vgl. u. a. Hermann Haken, Maria Haken-Krell: Erfolgsgeheimnisse der Wahrnehmung. Synergetik als Schlüssel zum Gehirn. Stuttgart: dva 1992;.Hermann Haken: Brain dynamics: synchronization and activity patterns in pulse coupled neural nets with delays and noise. (Springer Series in Synergetics) Berlin 2002; Hermann Haken, Günter Schiepek: Synergetik in der Psychologie. Selbstorganisation verstehen und gestalten. Göttingen: Hogrefe 2006; Dietmar Hansch, Hermann Haken: Wie die Psyche sich selbst in Ordnung bringt, in: Psychologie Heute, Juli 2004, S. 36-41 und dies.: Zur theoretischen Fundierung einer integrativen und salutogenetisch orientierten Psychosomatik, in: Gestalt Theory, 26, 2004, 1, S. 7-34. Neurophysiologen sprachen bereits im 19. Jahrhundert von 'synergetisch', bspw. Charles S. Sherrington, der damit die komplexe funktionsgebundene Kombinationen von Muskelaktionen beschrieb (The integrative action of the nervous system. London 1906).
27)
Alexandre Ganoczy: Der dreieinige Schöpfer: Trinitätstheologie und Synergie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001, S. 207.
28)
Ebd., S. 18. Ebenso die Struktur, und zwar in dem Sinn, dass sie zwischen verschiedenen Wissensbereichen hin und her übertragbar sind, und zu deren wechselseitigen Erkenntnis beitragen.
29)
Heinrich Rombach: Substanz System Struktur: Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft, 2 Bde., Freiburg/München 1965/66; Strukturontologie: Eine Phänomenologie der Freiheit, Freiburg/München 1971; Strukturanthropologie: "Der menschliche Mensch", Freiburg, München 1987; Der Ursprung: Philosophie der Konkreativität von Mensch und Natur, Freiburg 1994.
30)
Vgl. Ganoczy, Der dreieinige Schöpfer, insbes. S. 27-33 ("Göttliche 'Synontie' und 'Synergie'").
31)
Vladimir Belov: Moderne russische Philosophie. Von der Marginalität zum realen Pluralismus, in: IABLIS Jahrbuch für europäische Prozesse 3, 2004, S. 185-201.
32)
Vgl. Sergej Choružij: Očerki sinergijnoj antropologii. Moskva: 2005, Institut für synergetische Anthropologie auf: http://synergia-isa.ru/wordpress/. Vgl. auch Kristina Stöckl: A new anthropology: Sergej S. Khoružijʼs search for an alternative to the Cartesian subject in "Očerki sinergijnoj antropologii", in: Studies in East European Thought 59, 2008, 3, S. 237-245.
33)
Vgl. z.B. Sergej Choružij (Hg.): Sinergija: problemy asketiki i mistiki pravoslavija; naučnyj sbornik. Moskva 1995 und A. V. Vološinov (Hg.): Sinergija kul’tury. Trudy vserossijskoj konferencii. Saratov 2002.
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